DIE
ZEIT – 22/2003
Über Natur und Design…
…diskutierten der Entwicklungsbiologe Axel Meyer von der Universität
Konstanz und der legendäre Braun-Designer Dieter Rams, heute Ehrenpräsident
des Rates für Formgebung.
Zeit: Herr Meyer, warum haben Sie Kalifornien,
den Traum jedes Wissenschaftlers verlassen und sind nach Konstanz gekommen.
Axel Meyer: Das frage ich mich an manchem
Morgen auch. Aber es sind oft ganz persönliche Entscheidungen in
bestimmten Lebensphasen. Aber in Deutschland wird auch zuviel kaputt
geredet. Deutschland als Wissenschaftsstandort kann sich mit vielen
Institutionen in den USA sehr gut messen. Es ist durchaus richtig, sich
immer an den weltweit besten Einrichtungen zu messen, also etwa an den
20 besten amerikanischen Universitäten. Aber es gibt dort eben
auch noch 3500 Colleges, an denen die Situation nicht ganz so toll ist.
Das Forscherleben in Amerika ist nicht immer so rosig, wie es dargestellt
wird. Konstanz ist eine der besten Universitäten in Deutschland.
Darum bin ich ganz froh, heute dort zu sein.
Zeit: Herr Rams, gibt es im Design eine
Evolution?
Dieter Rams: Eigentlich nicht. Früher
schon hat man äußerst funktionale Dinge entwickelt. Heute
hat sich das Design eher verschlechtert als verbessert. Heute sehen
sie in den Regalen der Kaufhäuser vieles, was formalistisch gestaltet
ist, also: vordergründig formal. Ich bin sehr glücklich hier
zu sein, denn die Wissenschaft hat mich immer mehr fasziniert, als das,
was heute die Designausbildung prägt, nämlich sehr vordergründige
Dinge. Wir müssen heute neu überlegen, was das eigentlich
für ein Design ist, das stark dazu beigetragen hat, die Dinge,
die uns umgeben, epigonenhaft zu vervielfachen. Manche Gebrauchsgegenstände
kann man kaum noch voneinander unterscheiden.
Wir haben angefangen, in unserer Umwelt Dinge anzuhäufen, die wir
alle irgendwann auf den Müll schmeißen müssen. Darum
müssen wir als Designer heute dazu beitragen, dass dieses Vergeuden
von Dingen endlich wieder aufhört. Mein These heute lautet: Weniger,
aber besseres Design.
Die guten Dinge basieren auf Innovation. Sie bringen uns weiter. Sie
sind Erfindungen, die uns das Leben erleichtern helfen. Sie sind selten
geworden.
Zeit: Herr Meyer, gibt es in der Evolution
Design?
Meyer: Auch in der Entwicklungsbiologie
gibt es Regeln der Entwicklung. In der Natur ist niemals das Rad entwickelt
worden. Wir haben alle fünf Finger, das gilt für alle Landwirbeltiere.
Das hat aber nichts mit optimalem Design zu tun. Diese Entscheidung
ist im Devon vor 83 Millionen Jahren per Zufall entschieden wurde. Damals
gab es Organismen, bei denen die Evolution mit sieben, neun, zwölf,
achtzehn Anlagen von Extremitäten, die man heute als Fingerhäute
bezeichnen würde. Aber diese Entwicklungen haben sich einfach nicht
durchgesetzt. Aus Zufall – und nicht, weil das optimales Design
ist – haben sich jene Organismen durchgesetzt und wurden zu unseren
Vorfahren, die fünf Finger hatten.
Das ist für uns vielleicht ganz optimal, aber für einen Maulwurf
wäre es vielleicht viel besser, acht oder zehn Finger zu haben
…
Zeit: … ach, so mancher Pianist
…
Meyer: Es gibt eher den Trend, dass
aus ursprünglich fünf Fingern nur noch drei geworden sind,
oder zwei, wie bei Schafen und Kühen. Aber es gibt nicht den umgekehrten
Trend hin zu mehr Fingern. Evolution kann also nicht alles machen, was
ein Designer machen würde. Es gibt Grenzen, die entwicklungsgenetischer
Natur sind.
Rams: Ich wäre ja schon froh, wenn
die Wissenschaft den Menschen etwas vernünftiger machen könnte.
Ich finde, die Menschheit ist nicht lernfähig. Wäre das nicht
eine Aufgabe für die Wissenschaft. Die Ausbildung könnte natürlich
auch noch einiges besser machen. Sie ist ja offensichtlich nicht so
effektiv wie sie sein könnte. Vielleicht liegt das an unserer föderativen
Struktur.
Meyer: Ich bin der falsche Ansprechpartner.
Ich bin eigentlich Fischforscher und stelle immer mehr fest, wie schlecht
ich Menschen kenne.
Rams: Ich liebe Fische.
Meyer: Es sind auch die faszinierendsten
Organismen, die es gibt.
Zeit: Machen die Fische nicht gerade
das vor, was Herr Rams kritisiert? Es gibt ganz viele Varianten von
ihnen. In den großen afrikanischen Seen explodierte die Evolution.
War diese Vielfalt notwendig?
Meyer: Es gibt keine Notwendigkeit in
der Evolution, kein Ziel des Designs. Man kann vielleicht nachvollziehen,
warum sich etwas so entwickelt hat, wie es sich entwickelt hat. Aber
es gibt kein Ziel auf das sie hinarbeitet, wie größere Komplexität
oder größere Simplizität.
Rams: James Watson hat etwas gesagt,
was mich sehr beeindruckt hat. Er sagte: Die guten Erfindungen sind
eigentlich simpel. Ich kann dem nur zustimmen. Das ist auch im Design
so. Die guten Dinge sind die einfachen. Da kann man doch immer wieder
auch von der Natur lernen. Ich habe jedenfalls die Hoffnung, dass uns
die Bionik in Zukunft auch im Design weiterbringt.
Zeit: Finden Sie, ein Pfauenschwanz
ist simpel, die Reduktion auf das Wesentliche?
Rams: Ja. Wenn sie daran denken, für
was er gebraucht wird, dann ist er ganz wesentlich. Er wird ja gebraucht,
um Aufmerksamkeit zu erzeugen.
Zeit: Warum gibt es denn diese ungeheure
Variationsbreite von Kaffeemaschinen, Mikrowellen und Fernsehern?
Rams: Na, das finde ich ja gerade …
Scheiße, hätte ich jetzt beinahe gesagt. Die tun alle das
Gleiche, sie machen alle den gleichen Kaffee. Das ist Wahnsinn.
Zeit: Wie unterscheiden Sie gutes von
nicht so gutem Design.
Rams: Das ist letzten Endes eine persönliche
Frage. Ich habe im Grunde immer wieder versucht, die Dinge auf ihr Wesen
zurückzuführen – beeinflusst von der alten japanischen
Tradition. Das ist mir in einigen Fällen auch gelungen. Aber nur,
weil – wir Designer arbeiten ja nicht im luftleeren Raum –
es Unternehmerpersönlichkeiten gab wie Adriano Olivetti oder die
Brüder Braun. Persönlichkeiten, die ich heute sehr vermisse.
Und wir brauchen Innovationen. Innovationen, die sehr stark durch die
Wissenschaft getragen werden. Darum glaube ich, dass die schon erwähnte
Bionik uns sehr viele Fortschritte bringen kann. Das Chaos der Alltagskultur
– das sind nicht nur die Kaffeemaschinen, das ist die Architektur,
das sind die Straßen, das sind die Müllsäcke, mit denen
wir umgeben sind: das visuelle Chaos – beeinflusst, davon bin
ich überzeugt, auch unser Verhalten. Deshalb spreche ich sehr gern
von der Ethik im Design. Die Medien haben zwar Design bekannt gemacht.
Vor zwanzig Jahren kannte das Wort kein Mensch. Aber sie haben es sehr
vordergründig präsentiert.
Der Begriff des Designs ist inflationär geworden. Friseure nennen
sich heute Hairdesigner. Vor einer Bäckerei in New York sah ich
das Schild: "We have the best designed cookies downtown."
The best designed cookies, das muss man sich einmal vorstellen.
Zeit: Herr Meyer, warum gibt es so viele
Käfer, aber nur zwei Elefanten? Herr Rams, warum gibt es so viele
Kaffeemaschinendesigns, aber im Grunde nur zwei Waschmaschinentypen?
Meyer: Huxley hat gesagt: Gott hat Käfer
geliebt, darum gibt es so viele davon. Die biologische Erklärung
ist, dass kleinere Organismen die Fähigkeit haben, spezifischer
definierte Nischen auszufüllen, als große Organismen.
Rams: Das Waschmaschinen alle gleich
aussehen, liegt wahrscheinlich an der Technologie, die ein wenig stehen
geblieben ist. Aber man könnte bestimmt das eine oder andere verbessern.
Auch bei einer Waschmaschine lassen sich Fortschritte erzielen.
Zeit: Ist die Natur die beste aller
möglichen?
Meyer: Das ist vor allem das in Deutschland
vorherrschende Denken, dass jeder Organismus optimal angepasst ist.
Diese Hypothese wäre erst einmal zu überprüfen. Viele
Entwicklungen in der Natur haben zunächst eine ganz andere Funktion
erfüllt. Die Feder, zum Beispiel. Vögel nutzen sie heute zur
Fortbewegung. Die ursprüngliche Funktion von Federn war wahrscheinlich
der Schutz vor Hitzeverlust. Sie stammen wahrscheinlich von Reptilienschuppen
ab. Die Funktion des Fliegens ist erst die zweite Aufgabe von Federn.
Ob sie dafür ideal sind? Ich weiß es nicht. Ein Designer
könnte vielleicht ein Organ entwerfen, dass diese Funktion viel
besser ausfüllen würde.
Zeit: Herr Rams, Herr Meyer, vielen
Dank für das Gespräch.
Dieter Rams, einer der einflussreichsten
Designer Deutschlands und Ehrenpräsident des Rates für Formgebung.
Kurz: "Mister Braun".
Prof. Dr. Axel Meyer, Evolutionsbiologe
aus Konstanz, der eine erfolgreiche Lehr- und Forschungstätigkeit
in den USA aufgegeben hat und wieder nach Deutschland zurückzukehrte.
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